Der Frieden von Venedig: Versöhnung in 10 Schritten

Der Frieden von Venedig (1177) beendete den jahrelangen Konflikt zwischen Kaiser Friedrich Barbarossa und Papst Alexander III. Do...

Der Frieden von Venedig (1177) beendete den jahrelangen Konflikt zwischen Kaiser Friedrich Barbarossa und Papst Alexander III. Doch so einfach war das gar nicht: Denn die mittelalterliche Politik war bestimmt von Rang und Ehre. Beides musste stets beachtet werden - selbstverständlich auch bei Friedensschlüssen.

Um dem Rang von sowohl Kaiser als auch Papst gerecht zu werden, bereiteten Unterhändler im Vorfeld der Versöhnung von Venedig ein detailliertes Programm vor, das beiden Seiten ermöglichte, ihr Gesicht zu wahren und Venedig mit Genugtuung als ebenbürtige Partner zu verlassen.

Denn alle Stationen der öffentlichen Versöhnung von Kaiser Friedrich Barbarossa und Papst Alexander III. hatten immer auch eine symbolische Ebene, die gerne auch unterschiedliche Interpretationen des Geschehens zuließ. Der Frieden von Venedig - eine Versöhnung zwischen Kaiser und Papst in 10 Schritten.

Dieses Fresko aus dem 14. Jahrhundert zeigt den Moment der Versöhnung. (Abbildung: Soinello Aretino, Fresko im Palazzo Pubblico in Siena, 14. Jh., Wikimedia Commons)

1. Lösung von der Exkommunikation

Bevor Barbarossa überhaupt daran denken konnte, Venedig zu betreten oder persönlich vor den Papst zu treten, musste er von der Exkommunikation gelöst werden. Denn Alexander III. hatten den Kaiser bereits 1160 exkommuniziert.

Es gab eigentlich nur einen Weg, wieder in die Gemeinschaft der Gläubigen aufgenommen zu werden: Der reuige Sünder musste sich vor den Bischof, der ihn exkommuniziert hatte, auf den Boden werfen und durch diese öffentliche Selbstdemütigung um Vergebung bitten.

Für einen gewöhnlichen Sünder war dies wenig problematisch, doch mit dem Rang des Kaisers waren solche Handlungen im 12. Jahrhundert nicht mehr vereinbar. In der Ottonenzeit gehörten solche Selbstdemütigungen der Könige noch zum bekannten politischen Repertoir der Herrscher, doch seit dem Gang nach Canossa (1077) verzichteten die Herrscher zunehmend darauf.

Damit Barbarossa nicht als barfüßiger und reuiger Sünder vor den Papst treten musste, vereinbarten die Unterhändler eine geschickte Lösung: Die Absolution des Kaisers wurde räumlich und zeitlich von der Begegnung mit dem Papst getrennt. Konkret bedeutete das, dass Barbarossa auf dem Weg nach Venedig einen Zwischenstopp auf dem Lido einlegte und dort von sieben Kardinälen von der Exkommunikation gelöst wurde.

Mit dem Schiff ging es für Barbarossa vom Lido nach Venedig.

2. adventus: Der herrscherliche Einzug in die Stadt Venedig

Ganz nebenbei löste man so noch ein zweites Problem: Laut Kirchenrecht durfte niemand mit einem Exkommunizierten reisen. Barbarossa hätte im Zweifelsfall sonst ganz alleine auf einem Boot nach Venedig rudern müssen ...

So aber konnte der Kaiser einen prächtigen Einzug (adventus) in Venedig halten: Auf einem reich geschmückten Schiff, begleitet vom Dogen von Venedig und wichtigen Fürsten und Geistlichen, traf Barbarossa am Morgen des 24. Juli 1177 am Markusplatz ein, wo sein Schiff anlegte - und wo bereits der Papst wartete. In einer feierlichen Prozession zog Barbarossa nun zum Papst, für den man einen eigenen Thron auf einer extra errichteten Tribüne aufgestellt hatte.

Die Symbolik des feierlichen adventus war eindeutig: Barbarossa begegnete dem Papst als rechtmäßiger christlicher Herrscher, der ein Mitglied der Gemeinschaft der Gläubigen ist.

3. Begegnung mit Papst Alexander III.

Nun stand der heikelste Punkt der bis ins Detail geplanten Zeremonie an: Die Begegnung zwischen Papst Alexander III. und Kaiser Friedrich Barbarossa. Der Moment war nicht nur wegen der langen Feindschaft vorbelastet. Als Barbarossa 1155 zur Kaiserkrönung nach Rom gereist war, hatte es bei seiner damaligen Begegnung mit Papst Hadrian IV. schwere Rangstreitigkeiten zwischen Kaiser und Papst gegeben.

In Venedig hatte man deshalb die ganze Begegnung so geplant, dass sowohl Papst als auch Kaiser ihr Gesicht wahren konnten: Barbarossa trat vor den auf seinem Thron sitzenden Papst Alexander III., legte seinen roten Kaisermantel ab, sank zu Boden, legte sich mit ausgestrecktem Körper vollständig auf den Boden und küsste die Füße des Papstes.

Das vollständige Niederknie war keine Pflicht des Kaisers, der ja nicht mehr exkommuniziert war, sondern ein freiwilliges Zeichen der Demut und Frömmigkeit. So konnte Barbarossa gegenüber dem Papst seine Demut demonstrieren ohne dass er dazu gezwungen war oder sich damit in irgendeiner Weise im Rang unter den Papst gestellt hätte. Barbarossa verhielt sich einfach wie ein frommer Christ.

Papst Alexander III. half daraufhin dem Kaiser unter Tränen auf, gab ihm den Friedenskuss und begrüßte ihn zurück in der Gemeinschaft der Gläubigen: "Gut, dass du gekommen bist, Sohn der Kirche."

Hier zeigt sich die Mehrdeutigkeit symbolischer Gesten sehr gut: "Alexander brauchte auf die symbolische 'Veröffentlichung' eines Schuldbekenntnisses [Barbarossas] nicht vollständig verzichten, der Kaiser leistete es ihm aber in Gestalt einer freiwilligen Geste persönlicher Demut." (Görich, Barbarossa, S. 447). Beide Seiten hatten so ihr Gesicht gewahrt.

Hier auf dem Markusplatz in Venedig fanden die wichtigsten Etappen der Versöhnung zwischen Kaiser Friedrich Barbarossa und Papst Alexander III. statt. 

4. Gemeinsamer Kirchenbesuch von Papst und Kaiser

Nachdem die erste Begegnung (dank kluger Planung im Vorfeld) erfolgreich überstanden war, führte Friedrich Barbarossa den Papst in die Markuskirche. Am Hauptaltar erhielt der Kaiser den Segen des Papstes. Die Anwesenden sangen dazu Hymnen und die Glocken läuteten.


5. Übersendung von Geschenken

Die Wege von Kaiser und Papst trennten sich daraufhin: Barbarossa zog sich in seine Gemächer im Dogenpalast zurück, der Papst ließ sich in den Patriarchenpalast fahren.

Später am Abend erreichte ein Bote des Papstes das Quartier des Kaisers und überreichte wertvolle Geschenke, darunter Speisen in Goldgefäßen.

Der Austausch von Geschenken war im Mittelalter immer ein Zeichen über den aktuellen Status der Beziehungen. Wurden Geschenke verschickt und angenommen, waren die Beziehungen gut. Auch die Geschenke waren also ein wohl geplanter Teil des Versöhnungsprozesses.

Wie detailliert und klug die Planungen waren, zeigt sich sehr gut an einem ganz besonderen Geschenk, das der Kaiser erhielt: Unter den Geschenken war auch ein gemästetes Kalb. Das war eine Anspielung des Papstes auf die biblische Geschichte vom verlorenen Sohn - der in Person Friedrich Barbarossas nun in den Schoss der Kirche zurückgekehrt war.

6. Gemeinsame Messe am nächsten Morgen

Am nächsten Morgen stand zunächst wieder eine gemeinsame Messe auf dem Programm. Als der Papst von der Kanzel zu den versammelten Gläubigen sprach, trat Barbarossa demonstrativ näher heran, um den Papst möglichst gut zu hören.

Auch dieser Moment hatte eine symbolische Bedeutung, die den Anwesenden bewusst war: Der Kaiser zeigte so, dass er in Zukunft genau auf das Wort des Papstes hören werde und sich mit ihm intensiv austauschen wolle.

So stellte sich der italienische Maler Federico Zuccari um 1585 das Geschehen auf dem Markusplatz vor. (Abbildung: Getty Center, Object 20).

7. Stratordienst

Nach dieser Messe folgte ein weiterer heikler Moment - der sogenannte Stratordienst. Dabei hielt der Kaiser dem Papst beim Besteigen des päpstlichen Schimmels den Steigbügel. Anschließend führte Barbarossa das Pferd noch eine kurze Strecke am Zügel. Das Pferd des Papstes hatte man eigens per Schiff nach Venedig transportieren lassen für diesen Moment!

Die genaue Durchführung des Stratordienstes war der Grund für den Konflikt bei der Begegnung von Barbarossa und Papst Hadrian IV. in Sutri, deshalb war auch diese Etappe der Versöhnung sehr wichtig.

Der Geschichtsschreiber Romuald von Salerno berichtet, dass der Kaiser das Pferd des Papstes etwa 40 Meter weit über den Markusplatz führte. Die restliche Strecke bis zur Anlegestelle des päpstlichen Schiffes ritt der Papst allein. Indem der Papst den Kaiser frühzeitig vom Stratordienst entband, konnte Alexander III. allen Anwesenden demonstrieren, dass auch ihm der Rang des Kaisers wichtig war. 

8. Besuch Barbarossas beim Papst

Am Nachmittag besuchte Barbarossa den Papst in dessen privaten Gemächern. Dort führten Kaiser und Papst ein für alle Anwesenden sichtbares freundliches Gespräch und scherzten sogar gemeinsam. Das erneute Treffen war natürlich kein Zufall, sondern ebenfalls ein sorgfältig geplanter Schritt der Versöhnung.

Auch dieses Gespräch war damit ein wichtiger Teil der Inszenierung der Versöhnung: Durch das vertraute Gespräch zeigten Kaiser und Papst die wiedergefundene Eintracht.

9. Großes Konzil in Venedig am 1. August 1177

Wenige Tage nach dem Friedensschluss von Venedig und der öffentlichen Versöhnung von Papst und Kaiser fand in Venedig ein großes Kirchenkonzil statt. Auch hier begrüßte der Papst den Kaiser wieder als "verlorenen Sohn" und wies ihm den ehrenvollen Platz zu seiner Rechten zu.

Barbarossa seinerseits zeigte sich auch hier als gläubiger und demütiger Christ, indem er freiwillig seinen Kaisermantel ablegte. Das ermöglichte Barbarossa nun, sich in einer Rede als irrenden Menschen zu bezeichnen, ohne die Würde des Kaisertums durch dieses Eingeständnis zu beschädigen.

Der Papst konnte im Verhalten Barbarossas dagegen erneut ein Zeichen der Demut erkennen. Wieder bewies sich die Interpretationsoffenheit symbolischer Handlungen als großer Vorteil im Rahmen der Versöhnung.

10. Vigilien am Vorabend zum Fest Mariae Himmelfahrt

Papst und Kaiser zeigten sich nach jahrelangem Konflikt auf dem Konzil nun wieder als handlungsfähige Partner, die gemeinsam Problemlösungen erarbeiten konnten.

Dies wurde am 14. August noch einmal öffentlich von Barbarossa und Alexander III. demonstriert: Im Markusdom saßen Kaiser und Papst Seite an Seite in der Kirche und warfen gemeinsam brennende Kerzen zu Boden. Mit dieser symbolischen Handlung wurden alle Friedensbrecher vom Papst exkommuniziert - der Kaiser gehörte dagegen wieder zu den rechtgläubigen Christen.

Der Tag war klug gewählt: Denn mit der Himmelfahrt Marias war die Gottesmutter allen Christen als Beispiel vorausgegangen. Als gläubiger Christ und Mitglied der Kirchengemeinschaft befand sich Barbarossa dank der Versöhnung mit dem Papst nun ebenfalls wieder auf dem richtigen Weg.

Literatur zum Frieden von Venedig

Görich, Knut: Friedrich Barbarossa. Eine Biographie, München 2011.
Althoff, Gerd: Friedrich Barbarossa als Schauspieler? Ein Beitrag zum Verständnis des Friedens von Venedig (1177), in: Ehlert, Trude (Hg.): Chevaliers errants, demoiselles et l’Autre: höfische und nachhöfische Literatur im europäischen Mittelalter. Festschrift für Xenja von Ertzdorff zum 65. Geburtstag, Göppingen 1998, S. 3-20 (=Göppinger Arbeiten zur Germanistik, hg. von Ulrich Müller [u.a.]).
Güterbock, Ferdinand: Kaiser, Papst und Lombardenbund nach dem Frieden von Venedig. Ein neuer Quellenfund, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 25 (1933/34), S. 158-191.
Laudage, Johannes: Gewinner und Verlierer des Friedens von Venedig. In: Weinfurter, Stefan (Hg.): Stauferreich im Wandel. Ordnungsvorstellungen und Politik in der Zeit Friedrich Barbarossas, Stuttgart 2009, S. 107-130 (=Mittelalter-Forschungen, hg. von Bernd Schneidmüller und Stefan Weinfurter, Bd. 9).
Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2, Berlin ³1853 (erstmals 1839).
Scholz, Sebastian: Symbolik und Zeremoniell bei den Päpsten in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts. In: Weinfurter, Stefan (Hg.): Stauferreich im Wandel. Ordnungsvorstellungen und Politik in der Zeit Friedrich Barbarossas, Stuttgart 2009, S. 131-148 (=Mittelalter-Forschungen, hg. von Bernd Schneidmüller und Stefan Weinfurter, Bd. 9).
Schreiner, Klaus: Vom geschichtlichen Ereignis zum historischen Exempel. Eine denkwürdige Begegnung zwischen Kaiser Friedrich Barbarossa und Papst Alexander III. in Venedig 1177 und ihre Folgen in Geschichtsschreibung, Literatur und Kunst, in: Wapnewski, Peter (Hg.): Mittelalter-Rezeption. Ein Symposion, Stuttgart 1986, S. 145-176 (=Germanistische Symposien Berichtsbände, hg. von Albrecht Schöne, Bd. VI).
Weinfurter, Stefan: Papsttum, Reich und kaiserliche Autorität. Von Rom 1111 bis Venedig 1177, in: Hehl, Ernst-Dieter [u.a.] (Hg.): Das Papsttum in der Welt des 12. Jahrhunderts. Stuttgart 2002, S. 77-99 (=Mittelalter-Forschungen, hg. von Bernd Schneidmüller und Stefan Weinfurter, Bd. 6).

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