Automaten und Roboter im Mittelalter

Roboter sind heute aus Industrie und Medizin kaum noch wegzudenken. Tatsächlich sind die Maschinen inzwischen so ausgereift, da...

Roboter sind heute aus Industrie und Medizin kaum noch wegzudenken. Tatsächlich sind die Maschinen inzwischen so ausgereift, dass sich Forscher schon mit der emotionalen Ebene der Roboter-Mensch-Beziehung auseinandersetzen. Einen ersten Höhepunkt erlebte der Bau von Automaten bereits in der Antike. Damals schufen Erfinder zum Beispiel windangetriebene Orgeln und träumten von mechanischen Vögeln. Ihren wahren Siegeszug begannen die Roboter und Automaten dann im 18. Jahrhundert als zum Beispiel der sogenannte „Schachtürke“ in ganz Europa Aufsehen erregte. Doch auch im Mittelalter gab es in Europa ausgefeilte Automaten, Maschinen und Roboter.

Die Natur schmiedet neue Menschen aus Körperteilen. Roman de la Rose, Frankreich, 15. Jahrhundert (Abbildung: Yale University, MS 418, fol. 282v.)

Automaten als Geschenke: Karl der Große und die Wasseruhr

Die ersten Automaten erreichten das mittelalterliche Europa im 9. Jahrhundert als Geschenke aus dem Orient. Denn dort hatte sich das antike Wissen über Mechanik und Automatenbau erhalten. Der erste Automat erreichte das lateinische Europa wohl im Jahr 807.

Damals standen Kaiser Karl der Große und Harun al-Rashid im diplomatischen Kontakt und tauschten fleißig Geschenke aus. Karl der Große erhielt neben einem weißen Elefanten auch eine Wasseruhr vom Kalif.

Arabische Ingenieure bauten unglaublich komplexe Automaten, die oft aus einer Vielzahl sich bewegender Elemente bestanden: Auf den Wasseruhren tanzten zum Beispiel kleine mechanische Menschen zum Takt der Zeiger. Am Hof Karls des Großen dagegen erfolgte die Zeitmessung damals durch einfache Kerzenuhren – was für ein Unterschied!

Automaten als faszinierendes Element des Ostens: Salomons Thron in Byzanz

Kein Wunder also, dass man im lateinischen Westen von den fremdartigen Automaten sehr fasziniert war. Im 10. Jahrhundert berichtet der Diplomat Luitprand von Cremona von seinem Aufenthalt am Kaiserhof in Byzanz. Auch dort baute man technisch anspruchsvolle Automaten. Der sogenannte „Thron von Salomon“ ist darunter sicher der bekannteste. Laut Luitprand stand dieser Thron in der Magnaura, einem Raum im Palast des Kaisers in Byzanz.

Fauchende Löwen, zwitschernde Vögel, ein beweglicher Thron: Die hochkomplexe Mechanik dieses Throns hat auch dazu beigetragen, dass den byzantinischen Hof im Frühmittelalter ein Hauch von Faszination und Magie umwehte. Und sicherlich war der Anblick dieses Schauspiels für manche Besucher ein ziemlich furchteinflössender Anblick.

Automaten als fremde Bedrohung: Karl der Große in Konstantinopel

Kaum verwunderlich also, dass die Automaten des Ostens im Westen auch oft als fremde Bedrohung wahrgenommen wurden. Besonders in der mittelalterlichen Literatur besteht eine enge Verbindung zwischen dem Orient und bedrohlichen Automaten. So zum Beispiel in dem französischen Epos „Voyage de Charlemagne à Jérusalem et à Constantinole“ („Die Reise Karls des Großen nach Jerusalem und Konstantinopel“) aus dem 12. Jahrhundert.

Darin wird von einer (erfundenen) Pilgerreise Karls des Großen nach Jerusalem berichtet. Auf dem Heimweg machen Karl und seine Gefährten auch am Hof des byzantinischen Kaisers Station. Dort werden sie Zeugen wundersamer Maschinen: Musikautomaten aus Kupfer, singende Statuen und Co. Sogar der Palast selbst dreht und bewegt sich, angetrieben durch den Westwind.

Lanzelot kämpft gegen zwei menschenähnliche Automaten. Lancelot do lac, Frankreich, 15 Jh. (Abbildung: Paris, BnF, MS Fr. 118, fol. 200v)

Sobald der Palast sich zu drehen beginnt, verlieren die verblüfften Franken komplett die Orientierung: Karl der Große „setzt sich auf den Marmorboden, unfähig zu stehen. Die Franken werden auf den Boden geworfen.“, so heißt es im Epos. Die Männer aus dem lateinischen Europa sind mit den Wundern des Ostens total überfordert.

Das hindert die Männer Karls des Großen übrigens dann nicht daran, sich später zu betrinken und mit ihrer Stärke zu prahlen. Als der byzantinische Kaiser sie am nächsten Tag für die ziemlich wilden Gewaltphantasien zur Rede stellt, greift Gott zu Gunsten Karls ein: Alle Drohungen der Franken erfüllen sich und der Palast wird zerstört.

Die Ordnung der Welt, die durch die Mechanik des Palastes aus den Fugen geraten war, wird durch göttliche Macht so wiederhergestellt. Die Reliquien, zu denen die Franken gebeten haben, sind den mechanischen Künsten in Byzanz überlegen, so die Botschaft.

Warnung, dass Divination, also Wahrsagerei, nur mit der Hilfe von Dämonen möglich ist. Omne Bonum, England, ca. 1350 (Abbildung: British Library, Royal 6 E VI, f. 535v)

Wie baut man im 12. Jahrhundert im lateinischen Europa einen Automaten?

Obwohl die Automaten des Ostens im Westen als Bedrohung wahrgenommen werden, ist man im lateinischen Europa auch fasziniert von der Mechanik dieser Maschinen. Im 12. Jahrhundert machen sich die Gelehrten immer intensivere Gedanken, wie sie selbst solche Automaten anfertigen könnten. Über ein Problem zerbrechen sie sich dabei besonders den Kopf: Was treibt die Automaten an? Meistens scheint Magie die einzige mögliche Erklärung:

  1. Okkulte Wissenschaften: Der Palast des byzantinischen Kaisers im Epos „Voyage de Charlemagne“ bewegt sich dank Spezialwissens in der Geheimwissenschaft namens cumpas. Dank dieser arkanen Wissenschaft kann die Bewegung des Mondes vorhergesagt werden und so der Kalender berechnet werden. So wird auch das Wissen erlangt, wie man drehende Paläste baut, die durch ihre Bewegung Himmel und Erde nachbilden.
  2. Magneten: Von vielen Stoffen nahm man im Mittelalter an, dass sie besondere Fähigkeiten besaßen. Deshalb wurden zum Beispiel besonders Magneten für das Herzstück jedes Automaten gehalten. Auch Edelsteinen wurde die Fähigkeit zugesprochen, Automaten betreiben zu können.
  3. Bezoar: Jetzt wird es ein wenig unappetitlich. Der Bezoar wird auch Magenstein genannt und ist eine Verklumpung aus verschluckten Materialien (wie Haaren), die sich im Magen von Greifvögeln und Katzen bilden können. Bezoare sollten vor Vergiftungen schützen und standen im Verdacht, die Automaten zu beleben.
  4. Dämonen: Auch Dämonen standen im Verdacht, Automaten zu bewegen. Das vermutete man vor allem auf Grund der Fähigkeiten der Dämonen, die Menschen auszutricksen und sie zur Sünde zur Verführen.

Bezoarsteine aus der Schatzkammer der Wittelsbacher in München. (Abbildung: Schtone, Wikimedia Commons)

Wie baute man also im 12. Jahrhundert einen Automaten im lateinischen Europa? Im Grunde gar nicht. Denn mechanisches Wissen hatten die Gelehrten nicht und ihre Erklärungen aus den Bereichen der Naturphilosophie, der okkulten Wissenschaften und der Theologie waren natürlich in der Praxis wenig hilfreich.

Automaten, die die Zukunft vorhersagen: Die sprechenden Köpfe

Es ist wenig verwunderlich, dass im Hochmittelalter deshalb jeder Automat etwas Gefährliches und Verbotenes war. Um einen Automaten zu erschaffen, musste man schon Magier oder Dämonenbeschwörer sein. Der Vorwurf, einen Automaten gebaut zu haben, war deshalb ein beliebter Vorwurf, um Gelehrte zu verunglimpfen.

Gerbert von Aurillac, der als Silvester II. von 999 bis 1003 Papst war, galt schon seinen Zeitgenossen als überaus kluger und gebildeter Mensch. Besonders in der Mathematik und Astronomie besaß er beeindruckende Fähigkeiten. Etwa 100 Jahre nach seinem Tod entwickelten sich dann aber Legenden, die Gerbert von Aurillac vorwarfen, sich mit Magie beschäftigt zu haben. Sogar mit dem Teufel sollte er im Bunde gewesen sein und eine Schule der Zauberei in Rom gegründet haben.

Ein sprechender Kopf ist in diesen Legenden Gerberts Meisterwerk. Mit Hilfe von Nekromantie und okkulter Wissenschaften hat Gerbert angeblich einen Kopf geschaffen, der ihm die Zukunft vorhersagen kann.


Doch wie bei Doug Haffernan geht natürlich die Sache mit dem prophetischen Kopf auch bei Gerbert nicht gut aus: Gerbert fragte seinen Kopf, wo er sterben werde. In Jerusalem, antwortete ihm daraufhin der Kopf. Was Gerbert dabei vergaß: In Rom gab es eine Kirche, die „Jerusalem“ hieß. Als Gerbert eines Tages dort eine Messe feierte, fiel er auf der Stelle Tod um, so die Legende.

Gerbert von Aurillac ist nicht der einzige, dem nach seinem Tod vorgeworfen wurde, magisches und verbotenes Wissen praktiziert zu haben. Auch den englischen Bischof Robert Grosseteste, den deutschen Gelehrten Albertus Magnus und den englischen Philosophen Roger Bacon ereilte dieses Schicksal. Aufgrund seines großen Wissensdurstes in den Bereichen Alchemie und Magie bildete sich schnell die Legende, Albertus Magnus habe eine "redende Bildsäule" erschaffen. Über Roger Bacon gibt es ebenfalls die berühmte Legende, er habe einen magischen Kopf aus Bronze erschaffen.


Villard de Honnecourt und die ersten in Europa geschaffenen Automaten

Im Hochmittelalter gehörten Automaten, Maschinen und Roboter in das Reich der Magie. Wer einen Automaten bauen konnte, der musste ein Magier sein und über geheimes Wissen verfügen. Das ändert sich ab dem 12. Jahrhundert langsam. Das Wissen um Mechanik und Hydraulik wächst nun auch im lateinischen Europa. Automaten werden jetzt zunehmend als mechanische Maschinen verstanden und nicht mehr als magische Gegenstände.

Das erste Beispiel für historisch belegbare Automaten in Westeuropa stammt aus der Mitte des 13. Jahrhunderts. Damals entwirft der Ingenieur Villard de Honnecourt (1225–1250) eine Reihe von mechanischen Gegenständen. In seinem Notizbuch finden sich Zeichnungen von Automaten, die sich dank Seilwinden, Hebeln und Gewichten wie von selbst bewegten. Einer seiner Automaten war zum Beispiel ein Vogel, der Flüssigkeit aus einem Becher trank und dabei sogar gluckernde Trinklaute machte. Neben einem mechanischen Adler hat Honnecourt übrigens auch an einer Armbrust und einer hydraulischen Säge gearbeitet.

(Abbildung: Paris, BnF, MS Fr. 19093, fol. 9r)

Auch die Fürstenhöfe erreichen nun die ersten Automaten. Der Hof von Hesdin in Artois ist der erste, an dem Automaten aufgestellt werden. Im 14. und 15. Jahrhundert gibt es dort Springbrunnen, Uhren, mechanischen Affen und künstliche Vögel. Um 1300 ähnelt der Garten von Hesdin damit den islamischen Höfen, wie sie im Frühmittelalter von europäischen Reisenden beschrieben wurden.

(Abbildung: Paris, BnF, MS Fr. 19093, fol. 22v)

Es hatte ein halbes Jahrtausend gedauert, bis die Wunderautomaten im lateinischen Europa nicht mehr nur in Texten über den Orient beschrieben werden, sondern selbst Teil der europäischen Hofkultur werden. Statt magischen Erklärungen wird nun intensiv an der Verfeinerung der Mechanik gearbeitet, die hinter den Automaten steckt. Mit Gelehrten wie Leonardo da Vinci (1452–1519) und Athanasius Kircher (1602–1680) brach eine neue Epoche des Automatenbaus an.

P.S. Die Terminologie ist nicht ganz einfach: Begriffe wie "Automaten" oder "Roboter" gab es im Mittelalter noch nicht. Weil sie allerdings die Gerätschaften, um die es in diesem Blog-Artikel geht, ziemlich gut beschreiben, können sie durchaus verwendet werden.

Mechanische Skizzen in einer Handschrift der Schriften des antiken Autors Heron von Alexandria aus dem 16. Jahrhundert.(Abbildung: British Library, Harley 5606, f. 15


Literatur zu Automaten und Robotern im Mittelalter

Truitt, E. R.: Medieval Robots. Mechanism, Magic, Nature and Art. Philadelphia 2015.

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